Marcel Wittkuhn

Leben ohne dich

Eine Mutter ist der einzige Mensch auf der Welt, der Dich schon liebt bevor er Dich kennt.
17 Mai 2004
Marcel hat sich entschieden 8 Wochen zu früh zu uns zu kommen. Er war sooo winzig, aber groß genug um ins Leben zu starten.
Es lief alles super. Das Leben hat sich komplett verändert was auch zu erwarten war mit einem kleinen“ Schreihals“.
Seit seinem 1 Lebensmonat schreiben wir Notizen über Seine Entwicklung .Jetzt ist das unser größter Schatz.

Hier ein paar Einträge aus dem Buch:


Marcel (4 Jahre)
23.06.08
Marcel ist sehr Lieb und sehr verschmust.
Er sagt“ Mama , ich werde dich niemals vergessen, ich liebe dich für immer“. Manchmal sagt noch dazu“ Den ganzen Tag heute“ Süß. Wenn wir in Borbeck sind will er eine Kugel Eis. „Wenn du mir ein Eis kaufst, bist du meine beste Freundin“. Wie kann man da „nein“ sagen.
Marcel ist ein ganz normaler Junge. Sehr lebhaft und sehr lieb. Seine große Schwester verteidigt er sehr oft. Wenn in ihrem Zimmer nicht aufgeräumt ist, macht er dass manchmal damit sie keinen Ärger kriegt. Andererseits petzt er dann, dass bei ihr Unordnung ist.
Marcel faltet sehr gerne Wäsche. Manchmal suche ich meine Sachen und sie liegen gefaltet im Schrank.


06.06.10               Letzte Notiz im Buch
Marcels Geburtstag ist vorbei. Er hat von uns ein Fahrrad bekommen. Eine Nummer größer als er jetzt braucht. Zwei Tage später saß er drauf und fuhr los. Meine Güte hatte ich Angst, dass er stürzt. Aber mit Schonern und Helm kann nichts passieren. Vor 4 Tagen hat Marcel sein Seepferdchen gemacht. Wir sind so stolz, spontan kleine Party mit seiner Schwimmfreundin und den Eltern im Garten bei uns organisiert.  Wir haben sehr viel Spaß mit Marcel. Er hört was wir sagen, er ist einfach sehr, sehr lieb. Er weint nicht mehr für jeden Kratzer.

01.08.10

Marcel hat Fieber ...




An Alle, die immer noch an Marcel denken –

 

vielen herzlichen Dank! 


Wie lebt man ohne sein über alles geliebtes Kind?
Das Gesicht von der Ärztin hinter der Mundschutzmaske. Angst und Sorge in den Augen.
Bevor die Ärztin es ausgesprochen hat, wusste ich es.
Ich wollte meinen Schmerz rausschreien, wollte dass die ganze Welt über Marcel erfährt. Dann haben wir angefangen zu schreiben und haben für Marcel eine Gedenkseite erschaffen. Der ganze Schmerz, die Verzweiflung, die Angst und die unendliche Sehnsucht musste raus.
Es war für uns wie eine Therapie.
Alle, die uns all diese Jahre begleitet haben, haben das gespürt und mit ertragen.
Die Trauer war so mächtig, sie zerreißt deinen Körper, sie besitzt deine Gedanken. Tag für Tag, für Tag. Du empfindest nichts, keine Gefühle außer diese Sehnsucht. Dein Körper und dein Geist weigern sich dir zu gehorchen. Auch nachts nicht. Man ging ins Bett und wartete auf das Ende. Nur so, dachte ich, wird man diesen unfassbaren Schmerz los. Wir haben nach Hilfe gesucht und haben in der Selbsthilfe Gruppe Menschen kennengelernt, die auch so einen schweren Schicksalsschlag erlitten haben wie wir. Mit der Hilfe, Verständnis und Unterstützung für und mit einander, Schritt für Schritt, lernten wir das Leben wieder zu zulassen. Wir lernten dort Menschen kennen, die unsere Freunde geworden sind. Es ist einfach so überwältigend diese unglaubliche Stärke und gleichzeitig eine Zerbrechlichkeit in diesen Menschen zu spüren. Was für die anderen nur ein Lachen war, war für uns harte Arbeit. Dürfen wir überhaupt noch lachen, Freude haben, leben?
Als wir so lange so traurig waren hat mein Mann zu mir gesagt:
Auch wenn wir es uns so sehr wünschen, wir können unseren Schatz nicht mehr einholen. Wir müssen leider warten bis wir zu ihm dürfen. Die Frage ist wie wir es machen. Auf die ganz harte Tour oder lassen wir die Sonne aufs Gesicht strahlen?
Also WARTEN wir “auf der harten Bank oder auf der Couch?“
So haben wir angefangen, mit Unterstützung von unseren Freunden, kleine Ausfluge zu machen, danach sogar Urlaube.
Die Sehnsucht blieb.
Unsere Kinder waren immer bei uns und mit uns. In Gedanken und im Herzen.
Nach und nach haben wir tatsächlich gelernt erstmal leise zu schmunzeln dann auch zu lachen. Unsere „alten“ Freunde und ein Teil der Familie, haben uns unterstützt und waren für uns da. Nur so konnten sie uns helfen. Sie waren einfach da und haben mit uns diese schweren Zeiten durchgehalten. Erst viele Jahre später ist mir bewusst geworden wie schwer es für sie war. Sie haben Marcel auch geliebt und vermisst.
Wir sind dafür sehr dankbar.
Mein Mann und ich haben gelernt weiter zu leben. Wir sind viel gereist um nicht zuhause zu bleiben, haben viel renoviert um nicht viel Zeit für Gedanken zu haben. Wir haben einfach Angst gehabt stehen zu bleiben. Damit dieser Schmerz uns nicht wieder einholt. Der kommt immer wieder in kleinen Schüben, dann, wenn man gerade nicht damit rechnet. Es kann so ein guter Tag sein und dann plötzlich…. hat man einfach Lust zu weinen. Oder vielleicht einfach auch deswegen? Wir hinterfragen es nicht. Es ist jetzt so.
Marcel ist mein größter Schatz. Nach so vielen Jahren denke ich jeden Tag an ihn, aber ich habe nicht mehr das Bedürfnis mit jedem über ihn zu sprechen.
Unser Leben ist anders als vor dem 07.08.2010
Irgendwann haben wir beschlossen, dass wir uns beruflich neu orientieren wollen. Haben wir auch gemacht. Wir treffen uns mit unseren Freunden und haben tatsächlich Spaß.
Wenn wir oder unsere Freunde auf einer Reise sind, dann ist es auch ganz normal, dass wir in einer Kirche oder einer kleinen Kapelle eine Kerze für unsere verstorbenen Kinder anzünden.
Wir bringen immer ein ganz kleines Geschenk, egal wo wir waren. So haben wir in der Kapelle von St. Lucia eine Kerze angezündet und eine Hand voll Sand von Barbados mitgebracht. 

Als wir nach Tansania gefahren sind , haben wir einen kleinen Stein von Marcels Grab mitgenommen und im Ngorongoro Krater,(der schönste Ort der Welt) hinterlegt. Aus der natürlichen Wassertränke, da wo die kleine Vögel so viel Spaß hatten und sich gebadet und das Wasser getrunken haben, da wo Nilpferde zuhause sind, da haben wir die Steinchen ausgetauscht und zu Marcel gebracht.
Sein kleiner Tiger geht immer mit uns auf jede Reise. Alle mitgebrachte Kleinigkeiten bringen wir zu Marcels Grab. So denken wir, hat er auch was von der Reise, auch wenn wir jeden Tag an Marcel denken und wissen, dass er uns sowieso begleitet.
Ich bin stolz auf uns.
Als unsere Tochter uns mitgeteilt hat, dass sie ein Spaziergang mit ihrer frischgeborenen Tochter zu Marcels Grab gemacht hat, kamen mir die Tränen in die Augen.
Sie meinte nur: Na klar, ich wollte die Kleine ihrem Onkel vorstellen.
Ja, wir sind Großeltern von einem kleinen Mädchen geworden.
Dieses kleine Kind macht uns wieder ein kleines bisschen glücklicher.
Wir haben gelernt mit unseren Gefühlen zu leben. Heute noch, nach 14,5 Jahren wissen wir manchmal nicht wie wir mit der einen oder anderen Situation umgehen sollen.
Marcel hat mein Herz mit so viel Liebe gefüllt. Er hat Platz 1 in meinem Herzen, für immer.
Wir warten immer noch …….und haben uns für die „COUCH“ entschieden.


Mama und Papa